Das weltweit erste Endlager für Atommüll
Für Tausende von Jahren wird das Onkalo-Tunnelsystem in Finnland aufgrund meisterhafter Ingenieurleistungen und Bergbaukunst sowie entwaffnender Einfachheit dem Zahn der Zeit widerstehen und in sich das gefährlichste Vermächtnis des Atomzeitalters bewahren. Noch lange nachdem der Mensch entweder zu fernen Welten in den Weltraum aufgebrochen ist oder aus der Geschichte des Universums getilgt wurde …
Die Probleme, die es zu lösen gilt
Auf einer Liste mit jenen zehn Problemen der Welt, die es in Zukunft unbedingt zu lösen gilt findet man sie bemerkenswerterweise nicht: Die Frage danach, wie man die Fülle an gefährlichem radioaktiven Abfall sicher zu verwahren gedenkt. Und das obwohl sich die fatale Überzeugung, Elektroautos würden insbesondere Deutschland dabei helfen, den Ausstoß an CO2 in Zukunft weiterhin drosseln zu können, immer mehr durchsetzt, alle deutschen Autobauer mittlerweile eine Roadmap für ihre E-Car-Lösung aufgestellt haben und der Energiehunger durch rein elektrisch betriebene Automobile sowie Reboundeffekte ansteigen wird.
Die Mission auf einer Insel mit wenig Bergen
Im Jahre 1980 übernahm der damals 29-jährige finnische Geologe Tima Äikäs eine enorme Verantwortung: Er wurde mit dem Entwurf für eine Stätte betraut, in der Atommüll, der in seinem Land produziert wird, sicher und dauerhaft gelagert werden konnte. Heute, 37 Jahre später, ist Äikäs Projekt fast beendet und wird Finnland als erstes Land in die Lage versetzen, seine radioaktiven Abfälle in einer selbst entworfenen Stätte für Hunderttausende von Jahren sicher lagern zu können (vielleicht sogar für Millionen von Jahren, die es benötigt um sicherzugehen, dass die abgebrannten Brennstäbe nicht mehr gefährlich sind).
Um die Tragweite und das ganze Ausmaß der Herausforderung besser einordnen zu können führe man sich vor Augen, dass die zu den sieben Weltwundern gehörenden ägyptischen Pyramiden gerade mal 4.500 Jahre alt sind. Aktuell werden auf der Welt 250 000 Tonnen Atommüll lediglich in temporären Speichern zwischengelagert.
Den Einfang zur Endlagerstätte für Atommüll Onkalo (finnisch Onkalo = Höhle, versteckter Ort) befindet sich gut versteckt in der dichten Vegetation des Waldes auf Olkiluoto, einer wenig besiedelten Insel vor der Westküste Finnlands. Nicht weit davon entfernt, umgeben von einem Meer an Bäumen, stehen drei Kernreaktoren.
Eine verwegene Idee und ein tollkühner Plan
Direkt hinter etwas, was man für den Eingang zu einer großen Garage halten könnte öffnet sich ein Tunnelsystem bestehend aus 137 Stollen, welche bis zu einer Tiefe von 450 Metern hinab reichen. Um die Lagerung von radioaktiven Müll funktional zu gestalten wird dieser in gusseiserne und mit Kupfer beschichteten Behältern von 25 Tonnen Kapazität in maßgeschneiderten und mit Betonit (eine Tonart, die aufquillt, wenn sie in Kontakt mit Wasser kommt und deshalb auch in Katzentoiletten zu finden ist) ausgekleideten Fächern untergebracht.
Der ausgeklügelte Plan wie das Stollenlabyrinth in Onkalo größtmögliche Sicherheit bieten soll ist denkbar einfach: Der lokale Fels, in den die Tunnel gegraben wurde ist im geologischen Sinne stabil, besteht aus Gneis und sollte somit Wasser fernhalten. Das Betonit um die Behälter absorbiert jegliche Spuren von Restfeuchte. Das Grundwasser unterhalb der Behälter enthält wenig Sauerstoff, deren korrosive Wirkung ist somit sehr gering. Sollte trotz aller Vorkehrungen Wasser in den Behälter eindringen können würde es Millionen von Jahren dauern bis die kupferne Auskleidung durch Korrosion durchlässig wäre (Kupfer gilt als eine der stabilsten Substanzen überhaupt). In dieser Zeitspanne von einigen Millionen Jahren hätte sich der radioaktive Abfall zu weitaus weniger gefährlichen Abfallprodukten für die menschliche Umwelt abgebaut.
Leuchtende Mietzekatzen und die Vergesslichkeit
Auch die Frage, wie man die Gefahren der Lagerstätte und dessen Inhalt zukünftigen Erdbewohner vermitteln will ist bereits in Angriff genommen und – unter Verzicht auf großes Blendwerk -beantwortet worden.
Sofern die Menschheit in 100.000 Jahren noch nicht ausgelöscht ist und weiterhin Exemplare dieser sonderbaren und eigenwilligen Spezies auf der Erde existieren werden sie unsere heutigen Sprachen sicherlich nicht mehr sprechen oder verstehen. Man erinnere sich daran, welche Mühe und Anstrengungen notwendig sind, um hinter das Geheimnis und die Bedeutung von Stonehenge zu kommen, obwohl es gerade mal 5000 Jahre alt ist. Vor nicht einmal 10.000 Jahren vertrieb sich der Mensch die Zeit mit der Jagd und dem Sammeln. Tätigkeiten, denen noch heute im Rahmen eines Zeitvertreibes oder einer unbewussten Instinkthandlung nachgegangen wird.
In der Vergangenheit wurde fantasievolle Vorschläge unterbreitet wie man das dunkle Geheimnis sowie die Gefahr, welche bis zu einer Tiefe von knapp 470 Metern unterhalb der heute bewohnbaren Oberfläche lauert, an unsere Nachfahren kommunizieren könnte: Von spitzen Felsen, die den Zutritt erschweren sollen bis hin zu gentechnisch veränderten Katzen, die hellleuchtend fluoreszieren wenn sie in Kontakt mit Radioaktivität kommen und auf diese Art furcheinflößenden und warnenden Charakter haben sollen.
Die Ingenieure von Onkalo präferieren jedoch eine einfachere Lösung: Sie möchten die Endlagerstätte unbeaufsichtigt lassen und sie einfach für immer vergessen. Ohne die Notwendigkeit einer Überwachung oder der Verwendung von Elektrizität für Wartung oder Unterhalt der Anlage wäre es die einfachste und beste Lösung. Wenn im Jahre 2100 die Endlagerstätte ihre größte Kapazität erreicht werden die Eingänge des Tunnels mit großen Blöcken absorbierenden Gesteins geschlossen und verriegelt. Natürlich wachsender Wald wird den Eingang verbergen, die Anlage durch Ablagerungen für Ausgrabungen oder bergbauliche Unternehmungen unattraktiv gemacht.
Der Stand der Dinge
Seit 2014 befindet sich Äikäs, der Vater des Endlagers, in Ruhestand. Seine Nachfolger arbeiten mit unechtem, nicht radioaktivem Material – jedoch den echten Behältern und den richtigen Felseinlassungen – an der Generalprobe noch bis 2022. Im Jahr 2024 sollen die ersten richtigen Abfälle gesammelt und eingelagert werden. Ein Prozess, der voraussichtlich ein Jahrhundert andauern wird. So lange bis die vorhandene Speicherkapazität erreicht ist.
Und die Ganzwertszeit der Menschheit hoffentlich noch nicht überschritten wurde.
Titelbild: Überreste des verlassenen Vergnügungsparks in der Geisterstadt Prypjat, die infolge des Reaktorunglücks von Tschernobyl (1986) geräumt werden musste